Fische aus Alz und Inn sollen nicht verzehrt werden, Kein Wildbret mehr aus dem Landkreis

LGL und Landratsamt Altötting widersprechen der Bewertung des Fischmonitorings 2021 durch einen externen Gutachter

Von Lisa Brand, Alt-Neuöttinger Anzeiger
Burgkirchen. Wieder einmal rücken die per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) im Landkreis Altötting in den Fokus: Diesmal geht es um das Fischmonitoring 2021, bei welchem die Belastung der Fische aus der Alz mit organischen und anorganischen Stoffen oberhalb und unterhalb der Abwassereinleitung des Chemieparks Gendorf (CPG-Einleitung) bei Alzflusskilometer 14,34 sowie im Inn oberhalb und unterhalb der Alzmündung gemessen, die Analysenergebnisse ausgewertet und und die Belastungssituation dargestellt wurde.
Das Landratsamt rät, wie bereits 2019 vorsorglich, von „jeglichem Verzehr von Fischen aus der Alz sowie aus dem Inn unterhalb der Alzmündung“ ab (Anzeiger berichtete). Damit widerspricht die Behörde der Aussage von Godehard Mayer, Leiter des Genehmigungsmanagements bei InfraServ Gendorf, dessen Resümee noch in der November-Sitzung des Kreisumweltausschusses lautete: „Eine Verzehrtauglichkeit ist gegeben.
LGL: BNGF nutzte „veraltete Grundlage
Auslöser für die Warnung war eine Mitteilung des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), in der es der Bewertung der InfraServ „ausdrücklich widersprochen“ habe. Der Grund: Laut LGL habe das mit dem Fischmonitoring 2021 beauftragte Büro für Naturschutz-, Gewässer- und Fischereifragen (BNGF GmbH) mit Sitz in der Gemeinde Pähl (Lkr. Weilheim-Schongau) eine „veraltete Bewertungsgrundlage des
Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aus dem Jahr 2006 zur Beurteilung der Verzehrsfähigkeit der Fische“ herangezogen.
Der vorläufige toxikologische Beurteilungswert des BfR von 2006, der auf Tierversuchsdaten basiert, habe laut LGL für PFOS und PFOA damals noch bei 0,1 mg/kg Körpergewicht, also 100 ng/kg Körpergewicht, gelegen. Neuere Untersuchungen hätten aber eine Absenkung dieser Beurteilungswerte notwendig gemacht, erklärte LGL-Sprecher Aleksander Szumilas.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA (European Food Safety Authority) habe infolgedessen basierend auf epidemiologischen Studien zur immuntoxischen Wirkung abgeleitet, dass eine duldbare wöchentliche Aufnahmemenge von 4,4 ng/kg Körpergewicht (0,0044 mg/kg Körpergewicht) maßgeblich ist. Dieser Einschätzung habe sich das BfR 2021 angeschlossen.
Weiter heißt es seitens des LGL: „Die neuen Werte wurden im externen Gutachten zwar diskutiert, aber mit der Begründung, dass bereits geringe PFAS-Aufnahmemengen im Bereich der Hintergrundbelastung zu Überschreitungen der duldbaren wöchentlichen Aufnahmemenge führen können, verworfen.“ Ein weiterer Kritikpunkt: Die in den Fischen ebenfalls nachgewiesenen und auch in höheren Mengen als PFOA und PFOS vorhandenen, langkettigen PFAS Perfluorundekansäure (PFUnA), Perfluordodekansäure (PFDoA), Perfluortridekansäure (PFTrA) und Perfluortetradekansäure (PFTeA) seien im externen Gutachten für die Bewertung der Verzehrfähigkeit zudem nicht berücksichtigt worden.
Im Ergebnisbericht 2021 mit dem Titel „Rückstandsuntersuchungen von Fischen in der Alz oberhalb/unterhalb der Abwassereinleitung des Chemieparks Gendorf (CPG) und im Inn“, welcher der Redaktion vorliegt, sind die konkreten Messwerte aufgelistet. Sie beziehen sich auf das Frischgewicht (Fg) von zehn Fischen pro Probenstelle, die Gesamtstichprobe umfasst also insgesamt 40 Tiere. Der Bericht ist datiert auf den 31. Oktober 2022. So beträgt etwa der Mittelwert für PFOA in der Alz oberhalb der CPG-Einleitung <0,10 mg/kg, unterhalb liegt er bei 0,11 mg/kg, also deutlich über der duldbaren wöchentlichen Aufnahmemenge von 0,0044 mg/kg Körpergewicht. Im Inn ist der Unterschied noch deutlicher erkennbar: Während oberhalb der CPG-Einleitung ebenfalls <0,10 mg/kg gemessen wurden, waren es unterhalb 0,6 mg/kg. Der Wert für PFOS lag laut Ergebnisbericht in der Alz oberhalb der Abwassereinleitung mit einem Wert von 4,94 mg/kg ebenfalls über der duldbaren Menge, aber zugleich höher, als unterhalb der CPG-Einleitung mit 1,17 mg/kg, was nicht ganz schlüssig ist. Im Inn hingegen stieg der PFOS-Wert von 1,40 mg/kg an der Probestelle oberhalb auf 3,7 mg/kg unterhalb der CPG-Einleitung an.
Auch weitere Summenparameter der PFAS wie etwa die Perfluorundecansäure (PFUnA) ist sowohl in der Alz als auch im Inn nach der Einleitung mit Werten in Höhe von 53,0 bzw. 38,9 mg/kg im Vergleich zur Probestelle oberhalb der Einleitung (0,30 bzw. 0,17 mg/kg) rund zweihundert Mal höher. Die Chemische Verbindung PFUnA steht auch auf der ECHA-Kandidatenliste für „besonders besorgniserregende Stoffe“ und ist seit 1. Oktober 2022 in der Schweiz verboten. Auch der Wert für Triphenylzinn (TPT), ein seit Anfang der 2000er Jahr verbotenes Biozid, sticht mit hohen Mittelwerten in Alz 152,4 mg/kg und Inn 123,6 mg/kg unterhalb der Einleitung ins Auge. Im Vergleich dazu lagen die Werte oberhalb bei 4,0 bzw. 3,2 mg/kg. Das Landratsamt teilte diesbezüglich auf Nachfrage mit: „Der Eintrag von TPT in die Alz und den Inn ist auf Altlasten im Bereich des Chemieparks Gendorf zurückzuführen. Die Herstellung von TPT am Standort Gendorf wurde eingestellt, der Stoff nicht mehr verwendet.“
Das LGL komme aufgrund aktueller Studiendaten zu dem Schluss, „dass vor allem aufgrund der festgestellten Gehalte der oben genannten langkettigen PFAS vom Verzehr im beschriebenen Bereich abgeraten werden soll“, sagte Aleksander Szumilas.
Und wie ist der Wert von 4,4 ng/kg Körpergewicht zu bewerten? „Bis zur duldbaren wöchentlichen Aufnahmemenge sind keine negativen gesundheitlichen Wirkungen zu erwarten. Wie viel Fisch verzehrt werden kann, hängt vom jeweiligen PFAS-Gehalt im Fisch ab“, erklärte Szumilas. Dieser variiere im Einzelfall in Abhängigkeit von der Art des Fisches, dem Alter und weiteren individuellen Faktoren. Deshalb könne keine generelle Aussage getroffen werden, stattdessen erfolge immer eine Einzelfallbetrachtung. „Eine Warnung vor einem Verzehr wird aber vom LGL immer dann empfohlen, wenn die Menge Fisch, die man verzehren könnte, bis die duldbare Dosis an PFAS erreicht wird, sehr viel niedriger ist, als die übliche Menge, die laut statistischen Daten von Fischverzehrern aufgenommen wird bzw. wenn die duldbare Dosis bereits bei einer unrealistisch geringen Verzehrmenge erreicht werden würde“, fügte der LGL-Sprecher abschließend hinzu.
Doch was sagen Auftraggeber und Auftragnehmer zu der Kritik seitens LGL und der Verzehrwarnung des Landratsamts? Die Rückstandsuntersuchung bei Fischen oberhalb und unterhalb der Chemiepark-Einleitung auf Basis eines umfangreichen Fischmonitorings sei „eine behördliche Auflage“ des Wasserrechtsbescheids und werde seit 2001 in regelmäßigen Abständen umgesetzt, sagte Tilo Rosenberger-Süß, Sprecher InfraServ Gendorf. Der Chemiepark habe das Büro für Naturschutz-, Gewässer- und Fischereifragen (BNGF) am 3. Februar 2021 damit beauftragt, „um Untersuchungen zur Belastung von Fischen aus der Alz mit organischen und anorganischen Stoffen oberhalb und unterhalb der Abwassereinleitung des Chemieparks Gendorf (CPG) durchzuführen, die Analysenergebnisse auszuwerten und die Belastungssituation darzustellen“, so Rosenberger-Süß.
Der Chemiepark Gendorf habe sich dafür entschieden, einen externen Gutachter und Sachverständigen mit der Durchführung des Fischmonitorings zu beauftragen, „um eine unabhängige und neutrale Erfüllung dieser hochkomplexen Aufgabe zu gewährleisten“. Die Wahl sei diesbezüglich auf das BNGF gefallen, weil es „deutschlandweit und auch international zu den erfahrensten und renommiertesten Gutachtern und Sachverständigen für die Fachgebiete Ökologie, Natur- und Umweltschutz, Wasserwirtschaft sowie Fischerei- und Aquakultur“ zähle, ergänzte der Sprecher.Beauftragtes Büro
arbeitet an StellungnahmeAuf die Fragen an die BNGF GmbH, wann die Proben für das Fischmonitoring 2021 entnommen wurden, was sie zu den Vorwürfen seitens LGL sagen und warum dem Bericht eine alte Bewertungsgrundlage zugrunde gelegt wurde, antwortete Dr. Stefan Schütz am Mittwoch stellvertretend für Projektleiter Dr. Kurt Seifert auf Nachfrage des Anzeigers: „Derzeit erarbeiten wir eine dezidierte und ausführliche Stellungnahme zur Thematik.“ Aufgrund eines Auslandsaufenthalts von Dr. Kurt Seifert und der gebotenen Gründlichkeit bei der Erarbeitung der Stellungnahme habe das Büro nicht innerhalb der Frist bis Redaktionsschluss antworten können.
Konsequenzen hat die InfraServ Gendorf als Auftraggeber des Fischmonitorings nicht zu befürchten, wie Landratsamtssprecher Markus Huber klarstellte. Schließlich lägen die Werte vor. Der Beurteilung der Verzehrsfähigkeit der Fische widerspreche das Landratsamt aber, weshalb es die Verzehrwarnung für Fische aus Alz und Inn unterhalb der Alzmündung herausgegeben hatte. Der Chemiepark Gendorf sei einzig weiterhin verpflichtet, so Huber, in regelmäßigen Abständen ein Fischmonitoring durchzuführen. „Behördlicherseits werden die Ergebnisse, wie im aktuellen Fall geschehen, auch in Zukunft einer kritischen Prüfung unterzogen. Im Falle einer weiter bestehenden Belastung wird die Verzehrwarnung weiterhin aufrecht erhalten bleiben“, sagte Huber. Das sei der Fall „solange die Fischproben, die im Rahmen des Fischmonitorings genommen werden, weiterhin die tolerierbaren Aufnahmemengen überschreiten“.
Auch wenn die PFAS-Thematik im Landkreis Altötting besonders präsent ist, so ist die Belastung der Fische mit Umweltgiften kein alz- bzw. innspezifisches Problem, sondern weltweit zu finden.

Kein Wildbret mehr aus dem Landkreis

Quelle: Pirsch.de

Im Landkreis Altötting soll kein Wildbret vom Schwarzwild mehr in Verkehr gebracht werden. Grund dafür ist die eine EU-Verordnung zur Belastung mit PFOA. Dabei handelt es sich um eine Chemikalie, die krebserregend ist. Und: In der Umwelt baut sich die Stoffgruppe nicht ab – sie hat deshalb den Ruf als Ewigkeitschemikalie. Der Landkreis weist bedingt durch die einstige, dort ansässige PFOA-Produktion eine großflächige Bodenverunreinigung auf.

 

 

Neue Verordnung und deren Folgen

Mit Verordnung (EU) 2022/2388 vom 7. Dezember 2022 wurden für vier PFAS (PFOS, PFOA, PFNA und PFHxS) Höchstmengen für das Inverkehrbringen verschiedener Lebensmittel – darunter Eier und Fisch sowie Fleisch und Innereien von Rindern, Schweinen, Schafen, Geflügel und Wild – festgelegt, die seit dem 1. Januar diesen Jahres gelten.

Mit Blick auf die Ernährungsweise und die bisherigen Untersuchungen des Schwarzwilds im Landkreis Altötting ist davon auszugehen, dass das Wildbret zum Teil eine hohe PFOA-Belastung hat. Schon im vergangenen Jahr empfahl das Landratsamt den Jägern – nach dem Vorliegen erster Ergebnisse – keine Wildschwein-Innereien mehr in Verkehr zu bringen oder zu verzehren.

90% des Wildbrets zu hoch belastet

„Legt man die bisherigen Untersuchungen von erlegten Wildschweinen aus dem Landkreis Altötting zugrunde, wären unter Heranziehung der neuen Höchstmengenregelung über 90 % der Fleischproben und ebenso über 90 % der Innereienproben nicht mehr verkehrsfähig“, teilt das Altöttinger Landratsamt mit. Weil Schwarzwild nicht immer standorttreu ist, müssen Jäger im gesamten Landkreis damit rechnen, dass ihr Schwarzwild-Wildbret die Höchstmenge überschreitet.

„Unter dem Gesichtspunkt der Lebensmittelsicherheit sollten kein Fleisch und keine Innereien von Wildschweinen aus unserem Landkreis mehr in Verkehr gebracht werden“, teilt der Pressesprecher des Landkreises mit. Er fügt an: „Auch von einem privaten Verzehr ist abzuraten.“ Eine Abkehr von der Bejagung des Schwarzwilds ist das jedoch nicht – Stichwort ist hier die ASP.

Hat die Sauenjagd dann noch einen Reiz?

Um dennoch einen Anreiz für die Sauenjagd zu schaffen, haben sich der ehemalige PFOA-Produzent, Behörden, die Bayerischen Staatsforsten und die Jägerschaft darauf verständigt, dass die im November 2018 eingeführte Wildschweinprämie II (ASP – PFOA) aufgestockt werden soll. Rückwirkend zum 01.01.2023 soll für im Landkreis Altötting erlegte Frischlinge eine Ausgleichszahlung in Höhe von 110 Euro und für sonstiges Schwarzwild in Höhe von 220 Euro erfolgen. Die Antragsstellung und Auszahlung soll wie bisher über das Landratsamt abgewickelt werden. Der ehemalige PFOA-Hersteller hat eine vollständige Übernahme der Finanzierung der Wildschweinprämie zugesagt.

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