Der Europäische Gerichtshof bestätigte die Giftigkeit von GenX-Chemikalien.
Hersteller Chemours verkauft sie als Klimaretter.
Ende Februar fällte der Gerichtshof der Europäischen Union ein recht unscheinbares Urteil: Er bestätigte die Listung einer Chemikaliengruppe namens GenX als «besonders besorgniserregend». Der Hersteller Chemours hatte gegen die 2019 von der
europäischen Chemikalienbehörde ECHA getroffene Einstufung geklagt.
Dieses Urteil ist eine Abfuhr für das Chemieunternehmen Chemours und ein Erfolg für den Konsumentenschutz in Europa. Denn manchmal ist der Ersatz genauso schlecht wie das Original.
Das Original PFOA verursacht Krebs und wurde verboten
Das Original, ein Stoff namens PFOA (Perfluoroctansäure) erlangte traurige Berühmtheit. Es gehört zur der mehrere tausend
Chemikalien umfassenden Gruppe der per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS), die als «ewige Chemikalien» gelten, weil sie kaum zerfallen und sehr lange in der Umwelt bleiben.
GenX ist ein Markenname von Chemours. Er bezeichnet eigentlich eine Chemikalie mit dem Namen HFPO-DA oder, ausführlich, Ammonium-2,3,3,3-tetrafluor-2-(heptafluorpropoxy)propanoat. Chemours bezeichnet GenX auch als C3-Dimersäure, eine andere Bezeichnung ist FRD-902.
GenX wird unter anderem zur Herstellung anderer PFAS verwendet.
Informell werden aber noch einige andere, ähnliche Chemikalien, für die das Gleiche gilt, als GenX-Chemikalien zusammengefasst. GenX-Chemikalien finden sich in vielen Produkten, zum Beispiel in Verpackungen, Farben, Beschichtungen, Spezialtextilien und Feuerlöschschäumen (Infosperber: «Krebsverdacht durch Arbeitskleidung»).
Die Langlebigkeit wäre ein Grund, alle PFAS zu verbieten
Der EU-Gerichtshof in Luxemburg bestätigte die Einstufung von GenX-Chemikalien unter anderem wegen ihrer hohen Mobilität und der grossen Langlebigkeit. Selbst wenn sie in geringen Mengen vorliegen und sich kaum im Körper anreichern, sind sie quasi unzerstörbar.
Umweltverbände und Konsumentenschützer wie «Chem Trust» fordern, alle PFAS ganz zu verbieten oder ihren Einsatz wenigstens stark einzuschränken.
In den USA läuft es ganz anderes als in Europa
Die europäischen Konsumentinnen sind damit im Vergleich zu den Einwohnern der USA in einer guten Lage.
Bereits zwischen 2000 und 2006 hatte DuPont in eigenen Studien herausgefunden, dass GenX «Leber- und Nierenschäden verursacht, Einfluss auf die körperliche Entwicklung einschliesslich Frühgeburten und Verzögerungen in der Genitalentwicklung hat, das Immunsystem unterdrückt und Krebstumore sowohl in der Leber als auch in der Bauchspeicheldrüse verursacht». Das berichtet der «Intercept» aus Unterlagen, die DuPont der US-Umweltagentur EPA schickte.
Die EPA liess GenX trotzdem zu und legte erst später Grenzwerte für GenX-Chemikalien fest. Bis dahin war offensichtlich, dass sie womöglich giftiger sind als der Stoff, den sie ersetzen sollten.
Chemours behauptet, dass die giftigen Chemikalien das Klima schützten
Chemours legte Mitte März Widerspruch gegen die jüngste Grenzwertverschärfung der EPA ein. Mit dem Argument, dass GenX-Chemikalien in Tat und Wahrheit das Klima schützten. Da blieb selbst Fachleuten die Spucke weg.
Für die Energiewende seien GenX-Chemikalien unverzichtbar, so Chemours. Fluorpolymere würden «in jedem Auto, Flugzeug, Mobiltelefon sowie in Halbleiter- und Computerchips verwendet» sowie «bei der Herstellung der überwiegenden Mehrheit der verschreibungspflichtigen Medikamente».
Jede Regulierung bedrohe nicht nur die Gewinne des Konzerns, sondern die gesamte US-Wirtschaft, behauptet der Konzern, der im vergangenen Jahr einen Nettoumsatz von 6,3 Milliarden Dollar erzielte. GenX sei unverzichtbar, um die Wirtschaft von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen.
Dieselbe Strategie, immer wieder
«Dieselben Argumente hören wir seit Jahrzehnten», sagt der Anwalt Robert Bilott. Chemours versuche den Konsumentinnen und Konsumenten Angst vor der Regulierung einzujagen mit dem Argument, dass Produkte dann nicht mehr verfügbar sein würden. Zusätzlich versuche der Konzern seine Position für kommende Auseinandersetzungen zu stärken und nicht zuletzt Zeit zu gewinnen.
Als Veteran im Kampf gegen die ewigen Chemikalien kennt Bilott Chemours Strategie bestens. Der Anwalt verklagte 1999 DuPont und führte den langen Kampf gegen PFOA (siehe auch Infosperber: «Der Mann, der DuPont das Fürchten lehrte»).
Bis PFOA endlich vom Markt verschwand, dauerte es Jahrzehnte. Als DuPont zu einer Strafe von 10,5 Millionen Dollar verurteilt wurde, weil der Konzern dessen Giftigkeit verschwiegen hatte, war der Schaden längst angerichtet. PFOA hatte das Trinkwasser von mindestens 80’000 Personen in West Virginia verschmutzt – und das nur in dem Gebiet, auf das sich Bilotts Fall bezog.
Krebserkrankungen in der Umgebung einer Fabrik hatten sich gehäuft. Andere Fälle gibt es weltweit, auch in Europa. DuPont/Chemours zweifelte Studien an, kämpfte um Grenzwerte und verhandelte am Ende eine Übergangsfrist von zehn Jahren für PFOA – um es durch GenX zu ersetzen.
Die Geschichte von PFOA könnte sich wiederholen
Ähnliches wie bei PFOA könnte nun in North Carolina passieren. GenX aus einer Chemours-Fabrik in Fayetteville verschmutzt dort das Wasser des Cape Fear Rivers, der 250’000 Personen mit Trinkwasser versorgt. Auch Brunnenwasser enthält die Chemikalie.
«Anfangs sah es nach etwa 100 betroffenen Haushalten aus», sagt die Wissenschaftlerin Johnsie Lang, die in der Gegend wohnt. Inzwischen seien es mehr als 6000 und noch immer würden es mehr.
Chemours hatte 2018 im Rahmen eines Vergleichs 12 Millionen Dollar an North Carolina bezahlt. Das Unternehmen stimmte zu, Betroffenen sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen und seine Abgase und Abwässer besser zu reinigen. Damit versuchte Chemours einer Verurteilung zu der damit einhergehenden Verantwortung zu entgehen.
Bisher stelle Chemours einigen Einwohnern kostenloses Wasser in Flaschen zur Verfügung und führe Messungen durch, schreibt der Konzern auf seiner Homepage. Die Anwohner tragen aber bereits Kosten von hunderten Millionen Dollar zur Reinigung ihres Trinkwassers.
Würde der Grenzwert verschärft, kämen höhere Kosten auf Chemours zu. Mit dem Widerspruch gegen die strengere GenX-Regulierung durch die EPA versuche Chemours nicht zuletzt, rechtlichen Folgen zu entgehen, sagt Bilott.
«Chemours ist eindeutig ein Teil des Klimaproblems, nicht der Lösung.»
Laurie Valeriano, Toxic-Free Future
Die Behauptungen zum Klimaschutz, die Chemours aufstellt, seien Unsinn, sagen Fachpersonen. Um nicht zu sagen: ein besonders unverfrorener Versuch von Greenwashing. Der Konzern setze bei der Produktion unter anderem potente Klimagase ein, erklärt Laurie Valeriano, Geschäftsführerin der Interessengruppe Toxic-Free Future gegenüber dem «Intercept».
Chemours sei damit eindeutig ein Teil des Klimaproblems, nicht der Lösung. «Zu einer sauberen Zukunft gehören sicherere Produkte, die ohne Emissionen von starken Treibhausgasen und gefährlichen Chemikalien hergestellt werden», stellt sie fest.
Selbst ein umfassendes Verbot aller PFAS wäre machbar
Selbst alle Chemikalien aus der Gruppe der PFAS aus der chemischen Produktion zu verbannen, sei möglich, sagt Mark Rossi, geschäftsführender Direktor von Clean Production Action zum «Intercept». «Wenn von heute an in fünf bis zehn Jahren keine PFAS mehr in der Produktion verwendet werden dürfen, würde ich sagen, dass das ein vernünftiger Zeitrahmen ist.»
«Es gibt nicht-fluorierte Alternativen, aber sie erfordern Innovation», sagt auch Zhanyun Wang, Wissenschaftler an der EMPA, den das Investigativmedium ebenfalls gefragt hat. Die nächste Generation Forschender werde Alternativen finden. «Wenn man sie ausbildet. Bisher folgen sie immer den gleichen chemischen Lösungen», sagt er.