Wie beurteilen Sie das angedachte EU-weite Verbot für PFAS?
Selbstverständlich sind wir dafür, alle giftigen und gesundheitsgefährdenden Stoffe zu ächten, zu denen auch die PFAS-Stoffgruppe gehört. Die Frage des Verbots wird allerdings in Brüssel entschieden. Wir beobachten die Entwicklungen.
Was sagen Sie zu der angekündigten Schließung des Dyneon-Werks im Chemiepark Gendorf, vor deren wirtschaftlichen Konsequenzen die bayerische Staatsregierung auch gewarnt hat?
Gegenfrage: Warum hat man die Zeit nicht genutzt um ungefährliche Ersatzstoffe zu entwickeln, dann hätte man neue Marktchancen. Vielleicht wollte man bei dem vorhandenen Wissen um die gesundheitlichen Gefahren im 3M-Konzern einfach so viel Gewinn wie möglich mitnehmen bei vorhandenen behördlichen Genehmigungen in Bayern. Und jetzt, wo Regulierungen durch EU
verschärft werden, ist möglicherweise ein anderes Geschäftsmodell attraktiv. Und wer verantwortet und reguliert die Altlasten bei uns? Diese Frage bleibt für die Bevölkerung weiter offen. Der Chemiepark als Ganzes hat seine Resilienz- und Transformationskräfte in der Vergangenheit mehrfach unter Beweis gestellt und wird diese Herausforderung meistern, wie ein Presseverlautbarung vermeldet. Trotzdem ist die Schließung von Dyneon bitter für die Beschäftigten – und die gesamte Region. Die Politik ist aufgefordert, streng darauf zu achten, dass nach der Schließung von Dyneon als einem der Verursacher der PFAS-Verseuchung, die Kosten für die weiteren Sanierungsbemühungen nicht dem Steuerzahler auferlegt werden. Sorgen bereiten weitere zwei PFAS-Produktionsbetriebe in Burgkirchen-Gendorf. Die Firma Archroma und der PFAS-Hersteller W. L. Gore.
Warnungen haben nur einen Sinn, wenn mit ihnen zukünftige Handlungen beeinflusst werden können. Nur! Die Würfel bei 3M bzw. bei Dyneon sind gefallen. Nicht hier und nicht in München und nicht in Brüssel. Die Besuche von Ministerpräsident Dr. Markus Söder und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger kommen 10 Jahre zu spät. Schon seit Jahrzehnten war bekannt, dass die Fluorchemie das hohe Risiko von gesundheitlichen Belastungen mit sich trägt, mit evtl. daraus resultierenden Schadensersatzforderungen als Folge. Weil das Geschäft “flourierte”, wurde weiter produziert, ohne nach Alternativen zu suchen. Jetzt hat 3M angesichts von riesigen Forderungen für Umweltschäden – mehrere hunderte Millionen Dollar in USA und Euro in Belgien – die Reißleine gezogen und steigt aus. 3M steigt aus dem PFAS-Geschäft aus, um sich nicht zu den vorhandenen Altlasten nicht auch noch neue, zusätzliche “Zukunftslasten” ins Haus zu holen.
Die Konsequenzen im Landkreis wahrzunehmen, dazu braucht es nicht die Diagnose von kurzzeitig einfliegender politischer Prominenz. Die Ankündigung des US-Mutterkonzerns 3M, die Tochter Dyneon GmbH in Gendorf zu schließen, reißt natürlich ein heute nicht überschaubares Loch in das über Jahrzehnte und noch in den Jahren der Hoechst AG gewachsene Chemie-Verbundsystem und Produktionsnetzwerk. Zudem wird ein Wegfall von Dyneon einen kaum zu ersetzenden Gewerbesteuerausfall für die Kommune Burgkirchen/Alz bedeuten, was weiters auch entsprechende Mindereinnahmen für die Kreisumlage des Landkreises Altötting bedeuten wird. Gelinde gesagt, handelt es sich vor Ort um eine fiskalische Katharsis.
Wirkliche Hilfestellungen von Seiten der Staatsregierung würde bedeuten: Die Staatsregierung möge im Rahmen einer Neuausrichtung der chemischen Industrie, eine zukunftsfähige, nachhaltig ausgerichtete Chemieindustrie unterstützen und fördern, wünschenswerterweise auf der Grundlage von biobasierten Stoffen möglichst mit Prozessen und Energieformen und Temperaturen auskommend, die in Zukunft verfügbar sind. Das hätte Zukunft!
Wie zufrieden sind Sie mit dem Vorgehen von Politik und Industrie im Umgang mit dem Vorkommen der Stoffe bei Ihnen?
Die aktuelle Diskussion ist hinsichtlich dem Weggang und der Produktionseinstellung von 3M nur mehr auf Wohlstands- und Arbeitsplatzverluste ausgerichtet, ja selbst der Niedergang des ganzen Chemiedreiecks wir herbeigeredet, was die Bevölkerung stark verunsichert.Die Gesundheitsvorsorge bzw. der Umgang mit der Trinkwasser- und großflächigen Bodenkontamination ist dadurch in den Hintergrund gedrängt worden, was die Situation schändlich verharmlost und auch dem laufenden Wahlkampf geschuldet ist. Dem Fass den Boden ausgeschlagen hat der verfassungsrechtlich unsägliche Vorschlag des stellvertr. Ministerpräsidenten Aiwanger, der gar eine „Haftungsfreistellung“ für einen möglich Käufer ins Spiel brachte.
Das Vorgehen von Politik und Industrie kann man mit den Begriffen „abstreiten“ , „verschleiern“, „verharmlosen“ hinreichend beschreiben. Hierzu einige Beispiele: Bereits Anfang der 50er gab Jahre Hinweise auf Cancerogenität von PFOA in Tierversuchen. 3M hat hier acht Jahre länger PFOA mit hantieren dürfen als im Heimatland. Und dann das Versäumnis von den ersten PFOA-Messungen im Trinkwasser der Inn-Salzachguppe, bis über eineinhalb Jahrzehnte später die letzten Trinkwasserfilter der Wasserversorgung für 12000 Nutzer in Altötting in Betrieb gingen? Und dann noch die intransparenten Verträge zwischen Dyneon und den Wasserversorgern zur Finanzierung der Filter.
Drei Jahre haben wir gewartet bis wir jüngst zu einem Gespräch im Landratsamt Altötting eingeladen wurden. Es war ausführlich, es dauerte über zwei Stunden. Aber die wesentliche Information haben wir am nächsten Tag aus der Zeitung erfahren müssen. Es handelte sich um die Überschreiung des Leitwertes von GenX im Trinkwasser und die verspätete Abschaltung des betreffenden Brunnens, verursacht durch Kommunikationsprobleme zwischen LGL, Landratsamt und Wasserversorger. Vertrauen wird so nicht gebildet. Unser demokratisches Gemeinwesens wird nur durch möglichst transparente Entscheidungsprozesse und frühe Einbeziehung der Bürger gestärkt. Alles andere leistet Verschwörungstheorien Vorschub, gegen deren Anhänger wir als Bürgerinitiative besonders erwehren müssen.
Wie ist die Situation bei Ihnen?
Die Situation in unserem Raum stellt sich wie folgt dar: Böden, Oberflächengewässer (Alz) und Grundwasser sind großflächig und hochgradig kontaminiert. Die Fläche ist etwa das zweifache des Chiemsees. Das Helmholz-Zentrum konnte durch neue Methoden in der Alz 59 PFAS-Substanzen nachweisen. Hierbei dominieren PFOA-Ersatzstoffe wie Hexafluorpropylenoxid-Dimersäure (HFPO-DA), 4,8-Dioxa-3H-Perfluornonansäure (ADONA) und das Abbauprodukt Perfluormethoxypropansäure (PFMOPrA). Durch die Schließung eines 60 Meter tiefen Brunnens aufgrund von GenX über dem Trinkwasserleitwert sorgen wir uns nun zukünftig um das Tiefenwasser. Wir rügen, dass die Idee Fernwasser zu beziehen nicht öffentlich angesprochen wurde, und stattdessen neue Brunnen im hochbelasteten Gebiet gebohrt wurden.
Eine Sanierung des Bodens ist aufgrund der schieren Ausdehnung des kontaminierten Gebietes schon rein aus Kostengründen nicht möglich. Ganz abgesehen davon existieren derzeit keine großtechnischen Verfahren hierfür.
Bauvorhaben können wegen des Verbringungsverbotes des kontaminierten Aushubs nicht oder nur sehr verzögert umgesetzt werden. Die Bodenkontamination wirft ungeklärte Haftungsfragen bei den Grundstückseigentümern auf bei der Realisierung von Bauvorhaben. Großinvestoren im Industriebereich werden durch diese ungeklärten Haftungsfragen abgeschreckt, was wirtschaftliche Entwicklungen insbesondere am Standort Burghausen lähmt. Die Entsorgung von Bodenaushub über gewissen Belastungsgrenzen in einer zentralen Monodeponie nahe Burghausen soll dafür ein Lösungsansatz sein. Die Planungsphase und Information der Bevölkerung startete aber erst zu Jahresbeginn und wird bis zur Inbetriebnahme einige Jahre in Anspruch nehmen. In der Gegenwart muss der Eigentümer oder Bürger selber aufkommen für die Beseitigung von Bodenabraum, der gewisse Belastungsgrenzen übersteigt, sofern er diesen nicht auf seinem Grundstück wiedereinbauen kann. Der Bürger selbst ist also derzeit Kosten- und Risikoträger, wenn sein Boden belastet ist, was durch auferlegte Bodenuntersuchungen bei der Genehmigung von Bauanträgen ans Licht kommt. Außerdem haben wir ein Verzehrverbot von Alzfischen und Wildschweinen. Auch läuft gerade eine Lebensmitteluntersuchung und Futtermittel unter Beteiligung von Dyneon im PFOA-Belastungsgebiet, die weitere Ergebnisse über die Sicherheit unserer regionalen Produkte liefern soll. Die Ergebnisse bleiben abzuwarten.
Die gesundheitlichen Risiken und mögliche Schäden, die erst in späterer Zeit sichtbar werden, kann niemand mehr revidieren. Die Bevölkerung wartet die HBM-Studie, die erst im Laufe 2023 veröffentlich wird und die Belastungssituation in den einzelnen Wasserversorgungsgebieten transparent und vergleichbar untereinander macht. Bisher sind nur die Einzelergebnisse an die jeweiligen Teilnehmer versandt worden und pauschale Aussagen des Gesundheitsamts an die Presse gedrungen, wonach ein durchschnittlicher Rückgang von 50 % bei den PFOA-Gehalten gegenüber 2018 erreicht worden wäre. Dies trifft aber nicht für alle Versorgungsgebiete gleichermaßen zu. Beim Wasserzweckverband Inn-Salzach beispielsweise haben wir auf Rückfrage beim LRA in Erfahrung gebracht, dass die Belastungswerte unterdurchschnittlich abgenommen haben (nur 42 % durchschnittlich gegenüber Voruntersuchung in 2018). Außerdem werden noch Aussagen erwartet über die Einflussnahme auf die Immunantwort bei der Corona-Impfung, die in dieser Studie hätte aufgegriffen werden sollen. Leider kommen diese Ergebnisse dann sehr spät, so dass der Nutzen für die Bürger fraglich sein kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Ihre BINT e.V. (Bürger Initiative Netzwerk Trinkwasser)
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