PFOA vergiftet Wasser, Menschen und Böden

Es gärt im schwarzen Herzen Bayerns

Die Belastung von 190 km2 Boden und 45.000 Menschen durch den Stoff PFOA (Perfluoroctansäure) zwischen der Flüssen Inn, Alz und Salzach zeigt die fehlende Aufsicht der Behörden über die Chemieindustrie. Auch ist es ein Beispiel für strukturelle Gewalt.

Dieser gesundheitlich bedenkliche Stoff der Fluorchemie wurde in Bayern von der Firma Dyneon bis ins Jahr 2008 verwendet. Ihr amerikanischer Mutterkonzern 3M hatte bereits im Jahr 2000 auf Drängen der US-Umweltbehörde auf die Verwendung von PFC, so heißt die Stoffgruppe, verzichtet.

Der für Klebstoffe bekannte Konzern 3M stimmte dieses Jahr der Zahlung von 850 Millionen US-Dollar an den Bundesstaat Minnesota für „Wasserqualität und Nachhaltigkeit“ zu. Mindestens 50 Jahre lang wurden dort Böden und Gewässer mit PFC verpestet. Die Eigenschaften dieses Stoffes sind besonders brisant, da er zum einen besonders stabil ist und zum anderen sich in Organen anreichert. In der Natur kann PFOA biologisch nicht abgebaut werden. Sogar im Körper von Eisbären wurde dieser Stoff nachgewiesen. Erst ab 1200 Grad Celsius kann dieser Stoff, eine langkettige Fluorkohlenstoffsäure, verbrannt werden. Wasserlöslich ist er auch nicht, deshalb setzte man ihn ein zur Beschichtung von Textilien sowie Papier, und das stofflich verwandte PFOS als Feuerlöschmittel. Die fettabweisende Eigenschaft benutzte man zur Beschichtung von Lebensmittelverpackungen, z.B. bei Popcorn. In 95 % der Blutproben von US-Bürger*innen wurde PFOA nachgewiesen.

Der amerikanische Chemiekonzern DuPont hatte interne Studien verschwiegen, die Anhaltspunkte für eine Kanzerogenität dieser Chemikalie beinhalteten. Im Dezember 2005 hat DuPont der US-Bundesumweltschutzbehörde eine Vergleichssumme in Höhe von ca. 16 Millionen Dollar gezahlt.

Und fast alle, hier im „Paradies Bayern“ haben nichts davon gewusst. Es gab zwar 2006 eine Aktion von Geenpeace am Werk Gendorf bei Altötting wegen eines alarmierenden Fischsterbens, das durch austretendes PFOA in die Alz verursacht worden war. Gegründet wurde das Werk kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges um für die Anorgana (IG-Farben) Rüstungsgüter herzustellen.

Sprengstoffe, Frostschutzmittel und auch das Giftgas Gelbkreuz gehörten zu den Produkten. Später gehörte das Werk der Hoechst-AG und ab 1990 Dyneon (3M). Die Gemeinden Heiming, Marktl und Alzgern bekamen 2009 einen Aktivkohlefilter für ihre Trinkwasserversorgung und dann wurde es still um dieses Thema. Denn hier im bayerischen Chemiedreieck arbeiten die meisten, die nicht Bauern oder Beamte sind, in den großen Werken. Die Kritikerinnen und Kritiker wurden totgeschwiegen, nicht ernst genommen oder gar öffentlich vom Landrat gemobbt. Die wenigen Mutigen hatten kein leichtes Leben. Es ist wie in einem Drama von Henrik Ibsen (Der Volksfeind), wo der Protagonist in einem Kurort aufdeckt, dass das für die Genesung der Kranken verwendete Wasser verseucht ist und für seine Entdeckung von der Gemeinschaft ausgeschlossen wird.

Bewegung in die Sache kam erst durch erhöhte Werte an PFOA im Blut, die das Gesundheitsamt Altötting im Kleingedruckten veröffentlicht hatte. Wenig später stellte sich im Rahmen einer Blutspende heraus, dass in der Gemeinde Emmerting, welche an der Alz, unterhalb der Chemiefabrik liegt, mehrere Blutproben eine auffällig hohe PFOA-Belastung aufwiesen.

In einer anschließenden Bürgerversammlung in der Turnhalle von Emmerting erklärte der verantwortliche Leiter des Gesundheitsamtes Altötting, dass die Blutwerte ihn nicht verwunderten. Er habe nichts anderes erwartet. Diese Ungeheuerlichkeit berichtete das Magazin Quer (Chritoph Süß) Anfang November 2017. Schließlich weigerte sich das Rote Kreuz, Blutspenden aus Emmerting anzunehmen.

Im März 2018 gründete sich dann die BürgerInitiative Netzwerk Trinkwasser (BINT).

Zur Gründungsversammlung kamen 300 Unterstützerinnen und Unterstützer. Als dann im Mai, aufgrund der öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten von BINT und einer Pressemeldung des Landtagsabgeordneten Florian von Brunn, der Spiegel titelte „Söder sitzt Skandal aus“ – wurde die Sache turbulent, denn die Regierung sollte kurz vor den Landtagswahlen unter Druck geraten. Der Umweltminister Dr. Marcel Huber kam nach Altötting. Und die Stadt im schwärzesten Herzen Bayerns erlebte das erste Mal eine richtige Demonstration anstelle der dort üblichen Prozessionen. Und es wurde richtig laut. Gießkannen, zu Rasseln und Trommeln umfunktioniert, sorgten für Atmosphäre. Das kam gut an, außer in der lokalen Presse, wo man die BINT-Aktivisten als Gegner sieht.

Als dann die Nachricht aufkam, dass aufgrund von Löschübungen die Umgebung des Militärflughafens Manching bei Ingolstadt, durch Feuerlöschschaum mit PFOS großflächig verseucht worden war, erahnten jetzt viele die überregionale Dimension der Problematik. Wer in Manching ein unterkellertes Haus bauen wollte, musste den Erdaushub auf eigene Kosten als Sondermüll entsorgen. Die Anzahl der Orte, wo häufig mit PFOS-haltigem Schaum geübt wurde, geht allein in Bayern in den dreistelligen Bereich.

Mitte Juli wurden dann die Blutmessungen von fast 1000 Betroffenen im Raum Altötting bekannt gegeben. Die vielfach über den unbedenklich definierten Bereich erhöhten Werte sorgten für weitere Beunruhigung. Im Zuge der neuen Informationsoffensive der Bayerischen Staatsregierung wurden BINT-Vertreter ins Ministerium zu einem Gespräch eingeladen.

Der neue, ungewohnt moderate Tenor lautet nun: „Wir nehmen Ihre Sorgen ernst, aber die Blutwerte sind nicht gesundheitsgefährdend. Brunnen mit PFOA sollen vom Netz genommen oder gefiltert werden.“ Deshalb soll nun die Gemeinde Kastl, die heute noch stark belastetes Trinkwasser fördert, in den nächsten Wochen eine Aktivkohlefilteranlage bekommen. Langfristig wird in den Ministerien über eine neue Struktur der Wasserversorgung nachgedacht. Vielleicht ist eine Fernwasserleitung die Lösung.

Eine weitere BINT-Initiative ist, das Ziel im bayerischen Chemiedreieck eine Ökomodellregion zu etablieren. Was zunächst wie ein Widerspruch erscheint, ist der einzig sinnvolle Weg. Denn in den oberen Schichten ist der Boden und das Wasser großflächig mit PFOA verseucht. Deshalb filtern die meisten Gemeinden dieses Wasser mit Aktivkohle. Andere Quellen sind mit Nitrat aus Gülle belastet. So sind die Wasserversorger dazu übergegangen das Wasser zu mischen, sodass der Leitwert von PFOA und der Grenzwert von Nitrat eingehalten werden.

Hier ist es besonders notwendig die Nitratbelastung zu senken. Ein Vorbild dazu ist die bereits bestehende Ökomodellregion 50 km weiter südlich am Waginger See, dem eine Eutrophie durch Gülleeintrag drohte. Dort wird biologische Landwirtschaft gefördert, indem Erzeuger*innen mit Verbraucher*innen und Verarbeitern biologischer Erzeugnisse vernetzt werden.

Das ist ein geeigneter Weg die Nitratwerte im Trinkwasser zu reduzieren. Analog zu diesem Vorbild führt die BINT Vorgespräche mit den Bürgermeistern im Chemiedreieck. Eine staatliche Förderung ist geplant.

Auch das Schwarze-Peter-Spiel hat begonnen: Die verschiedenen Ebenen der Verwaltung deuten jeweils mit dem Zeigefinger aufeinander, wer schuld an der Misere hat. Die Verbreitung des Stoffes sind Sünden der Vergangenheit, in der man sehr fahrlässig mit chemischen Stoffen umgegangen ist.

Der Höhepunkt der Belastung wird laut einer Studie erst in 30 bis 50 Jahren erreicht werden. Die Industrie ist rechtlich nur schwer zu belangen, denn die ersten 22 Jahre gehen auf das Konto von Hoechst und 18 Jahre auf das der Dyneon. Außerdem waren Emissionen in die Alz und in die Luft vom Landratsamt genehmigt worden. Es geht jetzt auch darum, wer die hohen Betriebskosten der Aktivkohlefilter trägt. Der normale Bürger und Wassernutzer sollte es nicht sein, meint Marcel Huber. Und die Sanierung des Bodens ist noch nicht angedacht. Die Gerichte werden viele Jahre damit beschäftigt sein.

Die BINT wird sich demnächst mit der neu gegründeten Bürgerinitiative aus Manching treffen. Auch in Baden bei Kuppenheim gibt es ein gravierendes PFC-Problem, entstanden durch Schlämme der Papierindustrie, die als Dünger auf Feldern ausgebracht worden waren. Die überregionale Zusammenarbeit der Bürgerinitiativen steht an.

Frank Bremauer

Kontakt: https://www.bint.bayern/

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 432, Oktober 2018, www.graswurzel.net

Share This