Die Tagung des World Water Councils und der Kampf gegen Privatisierung des Wassers in Südamerika

 

Veröffentlicht in: Länderberichte, Lobbyismus und politische Korruption, Privatisierung öffentlicher Leistungen, Ressourcen

Am vergangenen 23. März endete in Brasilia das 8th World Water Forum mit Übereinkunft-Erklärungen von 150 Ländern zur Verbesserung ihrer Wasserwirtschaft, die von Staatschefs, Bürgermeistern und zum ersten Mal von Richtern unterzeichnet wurden. Wie auf allen vorausgegangenen Foren wiederholte die Schlusserklärung der Minister auch diesmal einen „dringenden Aufruf zu entschlossenem Handeln” und für verstärkte internationale Zusammenarbeit zur Gewährleistung des universellen Zugangs zu Wasser und sanitärer Grundversorgung; ein Ziel, das nach dem Geist einer Resolution der Vereinten Nationen (UN) bis 2030 weltweit erreicht werden soll. Ferner setzten sich die Gesetzgeber auf dem fünftägigen Forum für mehr Erfahrungsaustausch ein und drängen nun die Parlamente weltweit, in den jeweiligen nationalen Gesetzgebungen Wasser als „zentrales Thema” zu behandeln. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.

Als brasilianische Initiative und Gegenpendant zur Veranstaltung der Wasserindustrie tagte in Brasilia auch das Internationale Alternative Weltwasserforum FAMA 2018, dem Anfang März eine Vorkonferenz in Berlin mit maßgeblicher Beteiligung der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft, der evangelischen Agentur „Brot für die Welt“ und des Forums Umwelt und Entwicklung vorausgegangen war. Mit der Losung „Wasser ist keine Ware, Wasser gehört dem Volk” bekräftigte die FAMA-Abschluss-Erklärung, die von zahlreichen Wissenschaftlern und Politikern progressiver Parteien Lateinamerikas und Europas unterstützt wird, den Kampf gegen jegliche Form von Privatisierung und Beanspruchung privater Wasserquellen.

Aus Protest gegen mutmaßliche Geheimverhandlungen zwischen de-facto-Präsident Michel Temer und dem Nestlé-CEO Paul Bulcke über die Lizenzvergabe für die Ausbeute des Guarani-Aquifers, dem zweitgrößten der Welt, besetzten während des Forums 600 Frauen der brasilianischen Bewegung der Landlosen (MST) symbolisch eine Nestlé-Fabrik im südostbrasilianischen São Lourenço. Die Besetzung wurde mit einem gewalttätigen Polizeieinsatz beendet und die Frauen vorübergehend festgenommen.

Dass das Wasser-Forum in Brasilia nur eine Mischung von Reibungstest und Vorgeschmack auf die Offensive der transnationalen Wasserindustrie war, offenbart der in wenigen Wochen in Paris stattfindende Gipfel Global Water Summit 2018. Die Tagung steht unter dem suggestiven Motto „Water meets Money“. Genauer: „Auf dem Global Water Summit ging es schon immer um Verbindungen: Wasser trifft Geld, Publikum trifft auf Privat, Geschäft trifft auf Chancen“.

Markt kontra Menschenrecht: die transnationale Wasserlobby

Nach Schätzungen der UN werden bis 2035 circa 40 Prozent der Weltbevölkerung unter Bedingungen der Wasserknappheit leben müssen. Bevölkerungswachstum, expandierende Landwirtschaft und Industrialisierung würden den weltweiten Bedarf an frischem, sauberem Wasser bis 2050 um 55 Prozent über das heutige Mengenangebot steigern. Mit Blick auf diese Ressourcenverknappung brachte Bolivien 2010 einen Antrag bei der UN ein, der den Zugang zu sauberem und gesundem Wasser und sanitärer Versorgung zum „grundlegenden Menschenrecht“ erklärte. Mit der Resolution 64/292 verabschiedete die Generalversammlung der UN im Juli 2010 diesen Antrag mit 122 Stimmen, jedoch mit hoher Enthaltung: 41 Länder, darunter vor allem die entwickelten Länder des Westens, enthielten sich der Stimme.

Auf dem 4. Weltwasserforum hatten Parlamentsabgeordnete aus über 100 Staaten deshalb eine soziale Abfederung gefordert: Jeder Mensch soll Anrecht auf 40 Tagesliter sauberes Trinkwasser kostenlos bekommen, erst darüber dürfe für Wasser ein Preis verlangt werden. Diese Forderung sollte das Kernstück eines verfassungsmäßigen Rechts auf Wasser bilden – ein Recht, das es bislang nur in Uruguay gibt, was jedoch im Weltmaßstab als immer weniger möglich erscheint. Das löbliche Bekenntnis zum Menschenrecht wurde als politischer Erfolg gewertet, in der Praxis wirkt es jedoch eher als Absichtserklärung, denn die Forderung wird von der transnationalen Wasserindustrie radikal abgelehnt und ist nicht einklagbar.

Führender Akteur und Initiator der sogenannten Wasser-Foren ist der 1996 gegründete Weltwasserrat (Englisch: „World Water Council“, WWC), dem schätzungsweise 323 Vertreter aus Wirtschaft, lokalen Regierungen und deren Ministerien, Wissenschaft, internationalen Privatbanken, der Weltbank, der UN und militanter Think Tanks wie das Atlantic Council angehören. Mit 30 Prozent sind die Vorstände transnationaler Unternehmen im WWC nahezu doppelt so stark vertreten wie die Zivilgesellschaft (17 Prozent). Zu ihren mächtigen Playern zählen Energiekonzerne und Stromversorger, wie die französische EDF oder die spanisch-italienische Endesa, und führende Konzerne der Lebensmittelbranche, allen voran Nestlé.

Die Weltwasserkonferenzen des WWC drängen auf eine Neudeutung der Wassernutzung. Weil es knapper wird, soll Wasser nicht mehr als frei verfügbares Allgemeingut bezeichnet werden dürfen, sondern als „Commodity“ für die kommerzielle Ausbeute freigegeben werden. Apropos kommerzielle Ausbeute: Allein der Mineralwasser-Handel soll 2017 weltweit 250 Milliarden Liter erreicht und zwei Jahre zuvor einen Umsatz von 80 Milliarden Dollar erzielt haben (El escandaloso negocio del agua embotellada – Nueva Tribuna, 27. Dezember 2017).

Allerdings, wenn die Konzerne „Wasser“ sagen, ist Trinkwasser und seine industrielle Verarbeitung nur ein metaphorischer Tropfen im Meer der Nutzungsmöglichkeiten. Nach der Radikal-Privatisierung des staatlichen Sektors durch die Diktatur Augusto Pinochets gewann beispielsweise der Endesa/Enel-Konzern nahezu die vollkommene Kontrolle über die chilenischen Binnengewässer und deren Nutzung für die Stromerzeugung.

In der Debatte über die öffentliche Wasserversorgung haben Vertreter der Zivilgesellschaft oft ihren Regierungen die unerklärliche Verzögerung nationalstaatlicher Programme für den Zugang zu gesundem Trinkwasser und sanitärer Versorgung vorgeworfen. Auffällige Andeutungen transnationaler Konzerne erklären jedoch diese Verschleppung. Den Regierungen wird seit Jahren die Sachkompetenz für die Wasserversorgung abgesprochen und die Privatisierung der Wasservorräte und der sanitären Versorgung empfohlen (Mexiko: Privatisierung der Wasserversorgung – Clean Energy Project, 03. Oktober 2015).

Die neoliberalen Wasserhändler wollen die Regierungen aus der Kontrolle über die Wassernutzung verdrängen, sie bestenfalls zum 50/50-Sozius in den sogenannten „Öffentlich-privaten Partnerschaften“ machen. Sie sollen unter der Anleitung der Weltbank die Wassermärkte „regulieren“, während die Konzerne mit Zugangslizenzen ihre Geschäfte machen.

Davos, Nestlé und die „gemeinsamen Werte“

Drehbühne der marktorientierten Wasser-Strategie ist das Weltwirtschaftsforum von Davos, das mit der Global Water Initiative für „die Verbesserung von Wassermanagementpolitik, Forschung, Investitionen und Wissensressourcen für nachhaltige landwirtschaftliche Produktion und verbesserte Ernährungssicherheit“ NGOs und Regierungen vor seinen Karren zu spannen versucht.

Die 1961 gegründete und aus Vertretern der Regierungen der USA und der Europäischen Union zusammengesetzte Denkfabrik und Lobbyorganisation, Atlantic Council, mit Sitz in Washington D.C., deren Mitglieder aus Wirtschaft, Politik und Militär stammen, ist wiederum durch Querverbindungen mit dem WWC und Davos und dem U.S. Water Partnership ein maßgeblicher Akteur der weltweiten Wasser-Strategieplanung. Kernstück dieser Strategieplanung ist das sogenannte „Creating Shared Value” (Erstellung gemeinsamer Werte)-Modell zur sinnbildlichen Verführung von Regierungen und Zivilgesellschaft. Das Modell stammt aus der Feder Peter Brabecks, Paul Bulckes Vorgänger als CEO von Nestlé.

„Innerhalb der sogenannten ´Arbeitsteilung´ beim Ausbau der Ideologie und Strategien des internationalen Kapitalismus spielt der multinationale Nestlé-Konzern eine entscheidende Rolle. Brabeck übernahm für sich und Nestlé einen Teil der Aufgabe, den neoliberalen Kapitalismus durch verschiedene Initiativen und Projekte zu legitimieren und eine starke Lobby des internationalen Großunternehmens über ein breites Netzwerk aus mehreren Ländern und Institutionen zu flechten“, erklärt der brasilianische Wasser-Aktivist Franklin Frederick (Forum Econômico Mundial: Temer entrega o jogo… e a água – Jornal GGN, 17. Januar 2018).

So sei die Water Resources Group (WRG) – die Coca-Cola, Pepsi und die Weltbank mit dem Ziel vereint, das Wasser auf der ganzen Welt durch öffentlich-private Partnerschaften zu privatisieren – auf Initiative von Nestlé ins Leben gerufen worden. Erst kürzlich ersetzte Paul Bulcke seinen Vorgänger Peter Brabeck im WRG Governance Body.

Nestlés Programm „Creating Shared Value” hält jährlich mindestens eine relevante internationale Veranstaltung in verschiedenen Ländern ab, auf der Regierungen, hochrangige Vertreter globaler Institutionen wie der UN und der Weltbank mit rigoros geplanter Strategie auftreten. So geschehen 2011 in Washington, durch eine bezeichnende Shared-Value-Partnerschaft mit dem Atlantic Council, die nicht allein Wirtschaftsakteure mobilisiert, sondern eine Allianz rund um die NATO bedeutet. So auch geschehen zum Jahresbeginn 2018 in Davos und fortgesetzt im laufenden Monat März in Brasilia. „Warum sollte ein multinationales Unternehmen, das Babynahrung, Schokolade und Mineralwasser herstellt, eine Partnerschaft mit dem Atlantischen Rat und damit mit der NATO suchen?“, fragt sich Frederick.

Die Antwort darauf gäbe das Shared-Value-Modell: „Geschäftsmöglichkeiten in den Bereichen Ernährung, Wasser und ländliche Entwicklung in Afrika und Lateinamerika. Dieses Programm übersetzt die Orwellsche Sprache des zeitgenössischen Großkapitals und informiert darüber, dass ´Geschäftsmöglichkeiten´ – d.h. natürliche Ressourcen, die von großen Unternehmen einverleibt werden – in großen Mengen in Afrika und Lateinamerika vorhanden sind. Und wenn die Länder dieser Kontinente ihre Ressourcen dem internationalen Kapital nicht zur Verfügung stellen wollen, ist es immerhin beschaulich, die militärische Macht der NATO nur anzudeuten, damit die potenziell Abtrünnigen ihre Meinung oder Politik ändern. Nicht zufällig haben Kolumbien und die NATO 2013 ein Partnerschaftsabkommen geschlossen“, gibt Frederick zu bedenken.

Wie groß dabei der Einfluss von Nestlé ist, verdeutlicht der Umstand, dass das politische Programm des schweizerischen Konzerns auch die Tagesordnung des jüngsten Weltwirtschaftsforums mitbestimmte, dessen zahlreiche internationale Teilnehmer die Nestlé-Strategie „Gemeinsame Werte in einer zerrütteten Welt” debattierten. Wie Nestlé umgekehrt rabiat mit Wasser-Aktivisten und mittellosen Menschen in der armen Welt umgeht, dokumentierte bereits die WDR-Reportage DOKU Nestlé: Das dreckige Geschäft mit Wasser.

Nestlé und der Angriff auf den Guarani-Aquifer

Menschen und Tieren stehen lediglich 3 Prozent der Wasservorkommen des Planeten als Trinkwasser zur Verfügung, wovon wiederum 2 Prozent vereist sind. Nach Angaben der Weltbank sind Brasilien (5,661 Milliarden Kubikmeter) und Russland (4,312 Milliarden Kubikmeter) die Länder mit den größten Süßwasservorräten der Welt, weshalb die Wasserkonzerne seit geraumer Zeit spekulieren, sie könnten ein Wasserkartell wider ihre Geschäftsinteressen bilden.

Brasilien beherbergt zudem zwei der weltgrößten Aquifer: den kaum genutzten amazonischen SAGA (Sistema Aquífero Grande Amazônia) und den Guarani in Südostbrasilien. Der vom Geologen Danilo Anton in Erinnerung an die indigenen Guarani-Ureinwohner so getaufte Mega-Trinkwasserschatz wurde schätzungsweise vor 200 bis 132 Millionen Jahren geformt, wird von Sandsteinen eingefangen und besitzt eine Ausdehnungsfläche von 1,2 Millionen Quadratkilometern, die grenzübergreifend weit nach Paraguay, Argentinien und Uruguay hineinreicht.

Davon befinden sich 840.000 Quadratkilometer auf brasilianischem Territorium, die bereits seit Jahrzehnten als strategische Wasserquelle der Bevölkerung, der Landwirtschaft und für Freizeitaktivitäten genutzt werden. Die natürliche Wiederauflade-Kapazität des Guarani, vor allem durch Regen, beträgt 160 Kubikkilometer/Jahr, von denen 40 Kubikkilometer/Jahr risikofrei genutzt werden können.

Nach Auskunft von Janine Pößneck von der Konrad-Adenauer-Stiftung (Das blaue Gold des Guarani-Aquifer vom 12. Februar 2012) koordinierte im Jahr 2003 die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) mit Unterstützung der GEF (Global Environmental Facility) ein Projekt zum Umweltschutz und der nachhaltigen Entwicklung des Guarani-Aquifer-Systems. Hellhörig stimmt der Hinweis, dass das im Januar 2009 abgeschlossene und 26,8 Millionen Dollar teure Projekt von der Weltbank beaufsichtigt und von GW-MATE (Groundwater Management Advisory Team) – einer Expertengruppe der Weltbank, der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) sowie der Regierung der Niederlande begleitet wurde.

„Ziel des Projektes war es, die Mercosur-Länder Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay bei der Ausarbeitung und Einführung eines institutionellen und technischen Rahmens für das Management und die Erhaltung des Guarani-Aquifers in der Gegenwart und für zukünftige Generationen zu unterstützen“, schrieb Pößneck.

Über Jahre hinweg wurde in brasilianischen Medien und sozialen Netzwerken über Privatisierungsversuche des Guarani mit den Farben einer Verschwörungstheorie spekuliert. Dass es keine Theorie, sehr wohl jedoch der Umriss eines Gespenstes war, das noch keinen Namen hatte, bestätigte nun das jüngste Weltwirtschaftsforum in Davos. Wie einem Bericht der Tageszeitung O Estado de São Paulo zu entnehmen ist, ist es soweit: Nestlé will den Guarani anzapfen und bedient sich dabei eines illegitimen Staatschefs.

Der Bericht zitierte Nestlé-CEO Paul Bulcke als einzigen ausländischen Konzernvertreter und Gast von de-facto-Präsident Michel Temer an einem runden Tisch zum Thema „Das neue Narrativ Brasiliens gestalten “, der am 24. Januar stattfand und das Anwerben von Investoren zum Ziel hatte. „Viel mehr Sinn hätte es gemacht, wenn beispielsweise Vertreter einer ausländischen Bank, wie Crédit Suisse oder UBS, Platz an der Tischrunde genommen hätten“, beobachtete Franklin Frederick. Warum also wurde unter so zahlreichen Firmen und CEOs ausgerechnet der Aufsichtsratsvorsitzende von Nestlé zu einer Debatte mit Temer und zwei großen brasilianischen Privatbankiers eingeladen?

Die Antwort auf diese Frage deutete die Tageszeitung Correio de Brasilia in einem Bericht von Mitte 2016 an (Multinacionais querem privatizar uso da água e Temer negocia / Multinationale Konzerne wollen Wassernutzung privatisieren und Temer verhandelt – 22. August 2016). Darin hieß es, „nach Angaben eines leitenden Beamten der Nationalen Wasser-Agentur (ANA), der um Anonymität bat, sollen die Süßwasserreserven des Guarani Aquifers in die Liste der Privatisierung öffentlichen Eigentums aufgenommen werden (…) Die Verhandlungen mit großen transnationalen Konzernen der Branche, darunter Nestlé und Coca-Cola, erfolgen ‘mit großen Schritten’ “.

Die politische Pointe des Deals: Der Artikel erschien zu einem Zeitpunkt, als die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff gegen den parlamentarisch manipulierten Prozess für ihre Amtsenthebung kämpfte, jedoch bevor überhaupt der Putsch vollzogen war, agierte ihr Vize Michel Temer hinter den Kulissen als de-facto-Präsident und verhandelte bereits über die Privatisierung brasilianischer Ressourcen, die streng genommen den eigentlichen Grund für den Staatsstreich bildeten.

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